Umweltsiegel: Umwelt kommt nach Schutz
ILO, BCI, FWF, GRI, STeP, GOTS, GRS – bei solchen Kürzeln versteht nicht nur ein Laie Bahnhof. Auch Fachleute aus der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der die Abkürzungen beheimatet sind, wissen mitunter wenig damit anzufangen. Dabei stehen die initialen Lettern allesamt für eine gute Sache.
Sie beschreiben Programme und Initiativen, mit denen die ökologische und soziale Unbedenklichkeit von Bekleidung und den Vorstufen verbessert werden soll. Allerdings macht die Vielfalt der Aktivitäten eine Orientierung schwierig. Weltweit gibt es nämlich etwa 200 Nachhaltigkeitslabel. Dazu kommen 260 Restricted Substances Lists (RSLs), die von Markenherstellern herausgegeben werden und Substanzen auflisten, deren Nutzung bei der Herstellung eingeschränkt ist. Deren Anzahl wird, davon ist auszugehen, weiter steigen. Der guten Sache ist das allerdings nicht dienlich. Angesichts des Label-Dschungels sind viele Produzenten verunsichert. Sie plagt die Frage nach demjenigen Nachhaltigkeitsstandard, den die Kunden im B2B-Geschäft zukünftig verlangen werden. Die Suche nach dem „heiligen Gral“ führt dabei mitunter zu Absurditäten. So lassen manche Unternehmen im Sportech-Umfeld ihre Nachhaltigkeitsbemühungen mehrfach zertifizieren. Wohl dem, der sich das leisten kann.
Oeko-Tex-Standard 100 macht bei Flammschutzkleidung Halt
Wem die Nachhaltigkeitszertifizierung seiner Prozesse derzeit verfrüht erscheint, kann immerhin auf eine Produktzertifizierung nach Oeko-Tex-Standard 100 ausweichen. Der Standard gehört zu den ältesten und am weitesten verbreiteten Produktsiegeln weltweit und wird von 9.500 Unternehmen aus über 90 Ländern angewendet. Sein Ziel: unerwünschte Schadstoffe sollen aus der textilen Produktion herausgehalten werden. Zu diesem Zweck hat die Oeko-Tex-Gemeinschaft verbindliche humanökologische Qualitätskriterien für insgesamt vier Produktklassen entwickelt. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf Substanzen, die in der Färberei und Ausrüstung zum Einsatz kommen können und begrenzen deren maximale Menge auf dem Textil. Anhand der Vorgaben des Standards ist eine Zertifizierung für viele Textilien möglich. Aber eben nicht für alle. Bestimmte Schutzkleidungsgewebe können die Schadstoffvorgaben nicht einhalten – etwa dann, wenn ihre flammhemmende Wirkung auf bromierte Ausrüstungsmittel zurückgeht. Eine fehlende Zertifizierung bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass die für einen körpernahen Gebrauch vorgesehenen Textilien schädlich sind! Insbesondere bei Schutztextilien aus Europas Produktionen ist in der Regel das Gegenteil der Fall. Sie erfüllen – mit Ausnahme der für die Schutzfunktion relevanten Veredlung – die Vorgaben des Standards. Immerhin gibt es vielfältige Ansätze, die betroffenen Ausrüstungsmittel gegen verträglichere zu ersetzen. Eine Substitution ist aber nur möglich, wenn die Performance stimmt. Denn der Schutz für Leib und Leben geht in risikoreichen Berufen vor.
Anwendungsbereich entscheidet über eine Zertifizierung
Ein weiteres Produktlabel für verantwortungsbewusste Textilien ist der Global Organic Textile Standard, kurz GOTS. Im Gegensatz zum Oeko-Tex-Standard 100 wird er für Textilien vergeben, die ökologisch und sozial verträglich hergestellt werden und in der Hauptsache aus Naturmaterialien bestehen. Genau aus diesem Grund spielt er bei technischen Textilien aber keine Rolle. Technische Textilien werden wegen ihrer Funktionalitäten und Spezialanwendungen überwiegend aus synthetischen Fasern und Fasermischungen hergestellt. Ihre Einsatzbereiche – etwa im Flugzeugbau, in der Architektur oder der Verpackungsindustrie – sehen überdies keinen direkten Hautkontakt vor. Im Gegenteil: Technische Textilien wirken überwiegend im Verborgenen und übernehmen sicherheitsrelevante Aufgaben. In solchen Fällen hat die Schutzwirkung stets Vorrang. Daher sind technische Textilien im Hinblick auf ihre ökologische oder soziale Unbedenklichkeit eher selten zertifiziert. Entsprechende Standards (z.B. Bluesign, EU-Ecolabel, STeP) kommen eigentlich nur dann ins Spiel, wenn es – wie bei Protech und Sportech – auf Tuchfühlung geht.