Textile Selbstentfaltung
Lüftet sich eine Jeans im Sommer ohne Zutun ihres Trägers (gewollt!), spricht man von einem „4D-Textil“ – für manche die nächste Generation von Textilien. Was es damit auf sich hat, erklärt David Schmelzeisen vom Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen.
David, man kennt 3D aus Kino und Fernsehen, es gibt sogar 4D-Kinos, in denen Düfte, Wind, Nebel, Sprühregen und bewegliche Elemente in Sitzpolstern zum Einsatz kommen. Was aber soll man sich unter 4D-Textilien vorstellen?
Objekte, denen wir im Alltag begegnen, haben drei Dimensionen: Länge, Breite und Höhe – 3D eben. Als 4. Dimension kommt die Zeit hinzu. Übertragen auf Textilien kann man ganz grob sagen: Es handelt sich dabei um Produkte, die ihren Zustand bei bestimmten Umgebungsbedingungen auf eine geplante und gewünschte Art und Weise verändern. Ich verdeutliche es mal am Beispiel einer eng sitzenden Jeans: Wenn die ausleiert, handelt es sich auch um eine Veränderung im Laufe der Zeit, aber hier sprechen wir nicht von einem 4D-Textil, weil es sich nicht um einen geplanten Vorgang handelt. Würde sich die Hose aber, weil wir sie so „programmiert“ haben, an einem warmen Sommertag leicht weiten und durch die textile Struktur kühlende Luft an die Beine ventilieren, dann wäre das ein 4D-Effekt.

David Schmelzeisen, Forscher am Lehrstuhl für Textilmaschinenbau und Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen; Quelle: ITA
Was meint „programmieren“?
4D-Textilien sind eine Kombination aus textilen Trägermaterialien und Mikrostrukturen, die in Form dünner Kunststoffschichten auf die Oberfläche gedruckt werden. Mit ihnen programmiert man die später gewünschte Veränderung direkt in das Textil.
Wodurch wird so eine Transformation dann in Gang gebracht?
Wir arbeiten vor allem mit Wärme (die Jeans und die Sommerhitze) und Feuchtigkeit, experimentieren aber auch mit UV- und Laserstrahlung oder Änderungen des pH-Wertes. Elektro- und Magnetfelder könnten ebenfalls als Stimuli fungieren.
Und was könnte durch sie ausgelöst werden?
Bewegung zum Beispiel, etwa im Falle von Textilfassaden oder von Stadiondächern, die sich je nach Wärme- oder Feuchtigkeitseinwirkung von selbst öffnen und schließen. Oder pulsierende Gefäßstützen, die sich im Körper je nach Blutdurchfluss weiten und wieder verengen. Man kann sich auch Fußballschuhe denken, die bei der Ballberührung ihre Oberfläche verändern. Alles noch Forschungsansätze, aber die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.

David Schmelzeisen, Forscher am Lehrstuhl für Textilmaschinenbau und Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen; Quelle: ITA
Was unterscheidet euren 4D-Ansatz von „Smart Textiles“, die ihren Zustand mit Hilfe von Elektronik ändern?
Die werden mit Sensoren und Mikrochips „smart“ bzw. „intelligent“ gemacht, was oft zu einer krassen Zunahme an Komplexität führt. Das kann den Verbraucher überfordern. Wir wollen die Dinge vereinfachen, indem wir die Intelligenz, also die angestrebte Veränderung, mit den Mikrostrukturen direkt in das textile Material einprogrammieren – ohne Technik und Elektronik.
Mit welchen Materialien arbeitet ihr?
Vor allem mit Maschenware, also Gewirken und Gestricken, die sind schön dehnbar. Generell eignen sich aber sämtliche elastischen und porösen Textilien. Für die Mikrostrukturen verwenden wir unterschiedliche Kunststoffe und kombinieren sie miteinander im 3D-Druck. Das Verbinden ist wichtig, weil sie alle ganz unterschiedlich auf Umgebungsänderungen reagieren: Während sich der eine Kunststoff bei Feuchtigkeit sehr stark ausdehnt, passiert bei dem anderen gar nichts. An der Grenze zwischen beiden Materialien kommt es zu Spannungen, die eine makroskopische Bewegung im Textil auslösen – das ist dann der 4D-Effekt, den wir nutzen.
Kannst du das etwas genauer erläutern?
Wir spannen das Textil zunächst und bedrucken es dann mit den Mikrostrukturen. Dazu nutzen wir verbreitete 3D-Druckverfahren wie Digital Light Processing und Fused Deposition Modeling. Die Mikrostrukturen werden also auf vorgespannte textile Flächen gedruckt, wo sie eine Art Rahmen bilden, den man sich wie einen Energiespeicher vorstellen kann, ein bisschen wie bei einer gespannten Feder. Dort bleiben sie im Textil, bis sie durch Feuchtigkeit, Wärme oder andere Auslöser aktiviert werden und ihren Spannungszustand und damit auch den des Textils verändern – et voilà: Der Jeansstoff öffnet sich bei Hitze und lässt kühle Luft hinein.
Manche Experten bezeichnen 4D-Tex als nächste Generation von Textilien. Warum?
Bisher waren Textilien ja eher statisch. 4D-Produkte hingegen können sich adaptiv an ihre Umgebung anpassen und auf wechselnde Gegebenheiten reagieren. Damit können wir künftig über unsere Kleidung mit der Umwelt interagieren. Ich denke, dass der textile 4D-Ansatz in den nächsten Jahren viele Sensoren, Mikrochips und Aktoren in smarter Bekleidung und technischen Textilien überflüssig machen wird.
Quelle Titelbild: ITA