Presize founders Szeli (left) and Tomov in ‘The Lion’s Den’ / Source: Presize

Retouren reduzieren mit Künstlicher Intelligenz

Retouren sind ein riesiges Problem im Online-Modehandel. Es kursieren Horrorzahlen von Retourenquoten bis zu 70 Prozent. Einer der häufigsten Rücksendegründe: Die falsche Größe. Ein Münchner Start-up will das Problem nun mit Künstlicher Intelligenz lösen.

„Schrei vor Glück!“ hieß es lange in der Werbung eines großen Online-Versandhändlers. Der ursprünglich zweite Teil des Slogans „Oder schick’s zurück!“ wurde irgendwann abgeschnitten. Denn geschrien haben dürften nicht nur die Kunden beim Erhalt ihrer Ware, sondern auch die Finanzverantwortlichen des Unternehmens beim Blick auf die Retourenquote. Die gilt im Online-Modehandel seit langem als einer der größten Kostenblöcke. Zwar gibt es so gut wie keine offiziellen Zahlen, doch der Anteil der Rückläufer wird auf bis zu 50 Prozent geschätzt. Und es geht noch krasser: Laut Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg kommen modische Textilien und Schuhe sogar auf Quoten von 70 bis 80 Prozent.

Eine Retour kostet über 15 Euro
Doch die Kunden lieben den kostenlosen Rückversand: In einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers gaben 74 Prozent der Befragten an, die Möglichkeit dazu sei ihnen wichtig. Für Onlinehändler – speziell für die kleinen – ist es ein teurer Kundenliebling. So schlägt laut Forschungsgruppe Retourenmanagement eine Retour mit 15,18 Euro zu Buche . Darin enthalten sind die Kosten für Transport, Aufbereitung und Administration, aber auch der Wertverlust der Ware.

Natürlich haben viele Händler den Rücksendefall längst eingepreist. Weil die Kunden aber, zumal in der Corona-Pandemie, immer mehr online bestellen (und retournieren), rückt zunehmend auch die Umweltwirkung der Rücksendungen in den Blick, etwa der durch sie verursachte CO2-Austoß. Einige Modehändler steuern mit einem CO2-Ausgleich gegen, bei dem Kunden per Extra-Beitrag Projekte unterstützen können, die Emissionen reduzieren. Christian Kastrop, Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium, denkt schon weiter: Anfang Dezember brachte er im „Handelsblatt“ eine verpflichtende Rücksendegebühr zur Reduzierung des Retouren-Booms ins Gespräch.

Heiliger Gral: Online auf Anhieb die richtige Größe
Viele Online-Modehändler arbeiten deshalb an einer für alle Seiten akzeptablen Lösung des Problems. Ein Fokus liegt dabei auf Möglichkeiten, den Kunden ihre bestellte Artikel gleich im ersten Anlauf in der richtigen Größe und Passform zu liefern. Denn nach wie vor ist einer der Hauptgründe für das Retournieren, dass die Kleidung nicht passt. Das liegt zum einen daran, dass viele Händler internationale Artikel führen, deren Größen unterschiedlich ausfallen. Zum anderen fehlt beim Online-Shopping – naturgemäß – schlicht die Umkleidekabine, aus der es schallen könnte: „Wow, das sitzt ja wie angegossen!“

Viele Versandhändler setzen auf die Auswertung der Bestell- und Retourenhistorie ihrer Kunden, um ihnen bessere Größenvorschläge liefern zu können. Was aber, wenn das nicht reicht? „98 Prozent der Konsumenten kaufen nichts, oft aus Angst, die falsche Größe zu bestellen“, ist sich Leon Szeli von Presize sicher. Das 2019 in München gegründete Start-up hat deshalb einen „digitalen Größenberater“ entwickelt, der Online-Shopper mit ihrer optimalen Passform und Größe zusammenführen soll.

Shoppen ohne Retourenschein?
Auf die Idee kamen Szeli und seine beiden Mitgründer am Center for Digital Technology and Management, einer Art Highend-Gründungszentrum der Münchner TU und der Ludwig-Maximilians-Universität. Dort arbeiteten die drei mit der ebenfalls in München ansässigen Hoffmann Group an der besseren Vermessung von Berufsbekleidung. „Parallel erzählten uns Freunde, dass sie wegen zu vieler Retouren in Onlineshops gesperrt wurden“, erinnert sich Szeli an die Geburtsstunde der auf Künstlicher Intelligenz basierenden Presize-Lösung.

Die Presize-Gründer Awais Shafique, Tomislav Tomov, Leon Szeli (v.l.n.r.) werden unter anderem von Hugo-Boss-Vorstand Heiko Schäfer beraten / Quelle: Presize

Die Presize-Gründer Awais Shafique, Tomislav Tomov, Leon Szeli (v.l.n.r.) werden unter anderem von Hugo-Boss-Vorstand Heiko Schäfer beraten / Quelle: Presize

Im Gegensatz zu anderen Angeboten soll diese als Web-App direkt in den Onlineshop integriert werden. Dort öffnet sich ein separates Fenster, in dem die Online-Shopper Angaben zu Alter, Gewicht und Körpergröße machen oder ein Selfie-Video via Smartphone hochladen. „Es reicht, sich einmal in Jeans und T-Shirt zu drehen“, versichert Szeli. Die auf diese Weise generierte Size-ID sollen die Kunden bei allen Online-Modehändlern verwenden können, die Presize nutzen. Laut Szeli sind das inzwischen 20 an der Zahl, darunter sOliver, Keller Sports und Eterna. Mit ihrem Shop-in-Shop-Ansatz sehen sich die drei Gründer der Konkurrenz voraus. „Viele Größenberater muss man als App runterladen oder Geräte zu sich nach Hause bestellen – das wollen viele nicht“, glaubt Szeli.

Zweitgrößter Einzeldeal bei „Die Höhle der Löwen“
Um Kapital für weiteres Wachstum einzuwerben, pitchten die Presize-Gründer Leon Szeli und Tomislav Tomov im Oktober in der VOX-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ (DHDL). Mit Erfolg: Juror Carsten Maschmeyer sicherte sich 15 Prozent der Anteile für 650.000 Euro – der zweitgrößte Einzeldeal in der DHDL-Geschichte. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Mentor und Partner Maschmeyer? „Sehr gut!“, schwärmt Szeli. Vor allem Maschmeyers Vertriebs-Mindset und sein Netzwerk seien hilfreich für „unser Team aus technischen Nerds“. In dieser „Nerdigkeit“ sieht Szeli einen Vorteil: „Wir denken nicht in Nadel und Faden, wir denken in Daten“, sagt er.

Laut Presize genügt es zur Bestimmung der Größe, sich in lockerer Kleidung vor der Smartphone-Kamera zu drehen / Quelle: Presize

Laut Presize genügt es zur Bestimmung der Größe, sich in lockerer Kleidung vor der Smartphone-Kamera zu drehen / Quelle: Presize

Sein Urteil über den Stand von Digitalisierung und KI im Fashionbereich? „Ich habe den Eindruck, dass erst in der Corona-Pandemie auch die letzten Onlinehändler wirklich verstanden haben, dass sie einen Onlineshop brauchen.“ Während Big Player wie Zalando, Otto, Bonprix, H&M oder Amazon das digitale Shopping handwerklich bestens beherrschten, sehe er gerade bei kleineren Modehändlern Nachholbedarf. „Auf lange Sicht wird es nicht reichen, nur die Bestellhistorie der Kunden auszuwerten.“ +++

Titelbild Quelle: Presize / Sendung „Höhle der Löwen“ (TV NOW)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*