Kautschuk - photo Camilla Coutinho

Kautschuk-Comeback am Fuß

Geht es nach Sébastien Kopp, Mitgründer des französischen Sneaker-Labels „Veja“, erschöpft sich die Nachhaltigkeit eines Schuhs nicht in dessen biologischer Abbaubarkeit; die gesamte Herstellungskette müsse auf den „grünen Prüfstand“. Wir haben Anfang Juli mit ihm auf der „FashionSustain“ in Berlin gesprochen.

Sébastien, du hast 2005 mit François-Ghislain Morillion das nachhaltige Sneaker-Label Veja gegründet, das auf Deutsch so viel heißt wie „Schau hin“. Warum diese Gründung?

In meinem ersten Leben war ich Banker. Das Schuh-Business kannte ich nur von außen. Mich hat aber immer gestört, dass die Werbespots für Schuhe zwar schön anzusehen sind, mit der Realität der Schuhherstellung aber so gar nichts gemein haben. Die besteht leider darin, dass die Umwelt oft nicht respektiert wird, dass in vielen Schuhfabriken in Bangladesch oder Vietnam katastrophale Bedingungen herrschen. All die schönen Marketing-Stories überdecken diese traurige Wirklichkeit. François und ich wollten das anders machen, also sind wir mit Veja an den Start gegangen.

Mitgründer des nachhaltigen Sneaker-Labels Veja: Sébastien Kopp / Daniel Gebhardt Photography

Mitgründer des nachhaltigen Sneaker-Labels Veja: Sébastien Kopp / Daniel Gebhardt Photography

Euer Ziel ist, das nachhaltigste und fairste Sneaker-Label der Welt zu werden. Hat man euch dafür nicht ausgelacht?

Aber ja, und wie! „Nachhaltig von A bis Z? Das schafft ihr nie“, hieß es überall. Wir hatten ja auch nichts – außer der Idee einer wirklich nachhaltigen Produktionskette ohne Schnörkel, von der man wesentliche Teile nicht vor der Öffentlichkeit verstecken muss. Ich bin dann erst mal ein Jahr gereist, um mir die Bedingungen der Schuhfertigung von der Materialherstellung über die Produktion bis zum Vertrieb anzuschauen. Dazu war ich in Europa unterwegs, in Asien und Südamerika. In Brasilien hat mich vor allem die Baumwollproduktion interessiert.

Zahlen besagen, dass ein Kilo Baumwolle bis zur Ernte bis zu 17.000 Liter Wasser benötigt – also weit über 100 Badewannen voll.

Unfassbar, oder? Und noch dazu braucht es Unmengen an Pestiziden. In einigen Teilen Brasiliens wird Baumwolle aber auch agro-ökologisch angebaut, also ohne Chemie und mit reduziertem Wassereinsatz. Der Ansatz verbindet lokales Wissen um Sonne, Wasser, Böden und Pflanzen mit moderner Wissenschaft für die Lösung komplexer Probleme mit den vor Ort verfügbaren Ressourcen. Am Amazonas bin ich auch auf die Seringueiros gestoßen – Kautschukzapfer, die Kautschuk von Gummibäumen holen. Der Amazonas ist der einzige Ort auf der Welt, wo diese Bäume in freier Natur wachsen. Da habe ich mich gefragt: Wäre das nicht das perfekt nachhaltige Material für unsere Schuhsohlen?

Und, ist es?

Die ersten Prototypen waren eine Katastrophe: Bei jedem Gehversuch klebten die Schuhe am Boden wie Kaugummi; keine wirklich gute Eigenschaft für Sneaker. Aber wir sind drangeblieben – und haben den Kautschuk „zum Laufen“ gebracht. Inzwischen haben wir 180 Tonnen davon, etwa das Gewicht eines Blauwals, aus Brasilien bezogen.

Was haben die Seringueiros davon?

Wir kaufen zu tatsächlich fairen Preisen. Auch die Arbeitsbedingungen sind fair: Die Pflücker können sich ihre Zeit selbst einteilen und sie schlafen in Häusern, nicht im Freien. Mit dem Ansatz verhindern wir auch die fortschreitende Abholzung des Regenwalds, denn ein Seringueiro verdient mit uns mehr, als wenn er Bäume fällt, damit multinationale Konzerne auf den Brachflächen Vieh züchten können. Wir haben bisher schon etwa 750 Quadratkilometer Amazonas-Wald erhalten – das entspricht der Größe des Inselstaates Bahrain.

Ihr habt inzwischen über 3 Millionen Sneaker verkauft. Sind eure Produkte öko-zertifiziert?

90 Prozent unserer Produktionskette ist „FLOCert“ -zertifiziert. Aber um ehrlich zu sein: Darauf liegt nicht unser Hauptaugenmerk. Die meisten Zertifizierungen nehmen nur das Endprodukt in den Fokus, nicht jedoch die Herstellungskette. Das ist uns zu wenig. Es gibt nicht die Öko-Zertifizierung, sondern Tausende Möglichkeiten, nachhaltig und fair zu agieren. Eine Zertifizierung kann nur der erste Schritt sein; es gibt aber 99 weitere. Man muss vor Ort sein – dort, wo die Rohstoffe für die Produkte angebaut, wo sie weiterverarbeitet werden. Wichtiger als eine Öko-Zertifizierung ist mir, Produzenten und Bauern persönlich zu kennen.

Was habt Ihr denn noch so auf eurer „Öko-To-do-Liste“?

Neben Kautschuk und agro-ökologischer Baumwolle setzen wir auch auf unser „Bottle-Mesh“-Verfahren, mit dem wir recycelte Plastikflaschen nachnutzen. Im Schnitt stecken in jedem Veja-Paar drei solcher Flaschen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen nachhaltigen und fairen Materialien. Lederersatz etwa ist ein großes Thema, denn Leder ist unter Tierschutz- und Umweltaspekten eine echte Katastrophe. Wir sind schon seit fünf Jahren dran, aber bisher sind all unsere Versuche gescheitert, einen gleichwertigen Ersatz zu entwickeln – bis vor kurzem. Ich kann jetzt noch nicht viel sagen, aber: Wir haben endlich was. Spätestens Anfang 2019 verraten wir dann mehr.

 

Titelbild Quelle: Camilla Coutinho

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