Automatisch nach China
Lange galt China als verlängerte Werkbank des Westens. Doch die Zeiten sind vorbei. Mit enormen Investitionen pusht sich das Land vom Reich der Mitte zum „Reich der Hochtechnologie“. Das bekommen auch deutsche Textilmaschinenbauer in Form gesteigerter Nachfrage zu spüren.
Allein im Jahr 2017 flossen in China umgerechnet 226 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. (Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt Deutschlands betrug im gleichen Jahr 329 Milliarden Euro.) Enorme Summen steckt die chinesische Regierung auch in den Ausbau der Infrastruktur, der erneuerbaren Energien und der Informations- und Kommunikationstechnologien. Auch die Automatisierung steht ganz oben auf der Investitions-Agenda der Regierung. Von diesem Sog der Zukunft profitiert auch der deutsche Textilmaschinenbau.
„Im modernen China wächst das Qualitätsbewusstsein für Endprodukte und Exporte“, sagt Maik Eisenhardt, Vertriebs- und Marketingleiter bei der RSG Automation Technics GmbH & Co. KG. Das nahe Stuttgart angesiedelte Unternehmen mit 20 Mitarbeitern fertigt Anlagen, auf denen textile Gurte und Bänder voll- oder halbautomatisch zu Sitz- und Sicherheitsgurten für Autos und Flugzeuge verarbeitet werden. Die Wahrscheinlichkeit, sich schon einmal mit einem Gurt angeschnallt zu haben, der auf einer RSG-Maschine produziert wurde, ist hoch: Etwa 70 Prozent aller Pkw-Sicherheitsgurtsysteme entstehen darauf.
Automatisierung vs. Handarbeit?
Eisenhardt und seine Kollegen präsentieren ihre Automatisierungslösungen für sogenannte Schmaltextilien nun erstmals auf der Cinte Techtextil (4. bis 6. September 2018) in Shanghai. Einer der Gründe für die wachsende Nachfrage: „Die Löhne steigen in China im Zuge der Hightech-Entwicklung stark an“, sagt Eisenhardt. Entsprechend suchten chinesische Textilhersteller nach Wegen, hochwertige Erzeugnisse effizienter zu fertigen. Wenn aber Anlagen aus Deutschland die Gurte und Bänder falten, vernähen, verschweißen, bedrucken, wickeln, stapeln und verpacken, besteht dann nicht die Gefahr, dass Arbeitsplätze durch Technologie ersetzt werden?

Automatisierungslösung für China: Auf solchen Anlagen der RSG Automation Technics sollen künftig auch im Reich der Mitte Gurte und Bänder verarbeitet werden / Quelle: RSG Automation Technics
„Die Erfahrungen weltweit zeigen: Nicht die Automatisierung zerstört Arbeitsplätze, sondern der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel, der Firmen dazu zwingt, neue Standorte zu suchen“, so Eisenhardt, der dafür ein Beispiel aus Europa anführt: „Einer unserer Hauptkunden mit Sitz in Tschechien hatte vor zehn Jahren noch 300 Angestellte – heute sind es 1 800. Dank unserer Anlagen konnte er massiv an Effizienz zulegen und seine Produktion im Land halten.“ Gerade im Bereich Nähen gebe es inzwischen kaum noch ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte. Ein Blick auf eine Liste des Bundesinstituts für Berufsbildung zu den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen des Jahres 2016 bestätigt das für Deutschland: Von über 511 600 Azubis wollten gerade einmal 120 eine Ausbildung zum/r Textil- und Modenäher/in machen.
„Silk Road“ reloaded
Insbesondere der Qualitäts-Aspekt fördert den Bedarf von Automatisierungslösungen für die Herstellung technischer Textilien in China: Gurte und Bänder, Airbags, Reifencord und Filter zur Verwendung in Autos, Flugzeugen, Medizintechnik oder Smartphones haben keinen Zweite-Wahl-Anteil. Entweder sind sie fehlerfrei – oder unbrauchbar. „Wir haben eigens patentierte Systeme entwickelt, die den Nähprozess überwachen und Fehler im textilen Material sofort erkennen“, sagt RSG-Marketingleiter Eisenhardt. Werde ein Fehler erfasst, gelte die Ware direkt als Ausschuss.
Künftig könnte noch mehr solcher Anlagen- und Maschinentechnik „made in Germany“ zur Herstellung technischer Textilien nach China gelangen – auch auf der Schiene. So steckt die chinesische Regierung derzeit rund 1 000 Milliarden Dollar in die Revitalisierung einer der bekanntesten „Straßen“ der Welt: die Seidenstraße (Silk Road). Auf ihr wurden in der Antike und im frühen Mittelalter Wolle, Silber, Gold und – daher der Name – Seide zwischen Europa und Asien hin- und hergefahren. Das gigantische – auch „One Belt, One Road“ genannte – 11 000 Kilometer umfassende Infrastrukturprojekt soll 70 Länder miteinander verbinden. Eine der Bahnlinien führt vom chinesischem Chongqing zu einem Logistikzentrum in Duisburg. Laut einer Sprecherin der Duisburger Hafen AG verkehren auf der Strecke inzwischen 35 Güterzüge wöchentlich. Es dürften schon bald mehr werden.
Titelbild Quelle: RSG Automation Technics